Herr Graul, wie war Ihr Weg in das Berufsschullehramt?
Nach dem Abitur in meiner Geburtsstadt Rudolstadt in Ostthüringen habe ich erstmal eine Ausbildung zum Werkzeugmechaniker für Stanz- und Umformtechnik in Erfurt absolviert. Nach der Berufsausbildung habe ich ein Weiterbildungsangebot meiner damaligen Firma genutzt und ein duales Studium zum Bachelor of Engineering in der Fachrichtung Technisches Management gemacht. Während eines Auslandspraktikums in Tianjin (China) wuchs mein Wunsch, eine berufliche Perspektive zu finden, in der man technisches Interesse mit der Arbeit am Menschen kombinieren kann. In Erinnerung an meine eigene Ausbildungszeit schien mir der Beruf des Berufsschullehrers die ideale Lösung, da er das Ingenieurwesen und die Pädagogik verbindet.
Und wie ging es dann weiter?
An der Uni Erfurt bekam ich die Möglichkeit, innerhalb von drei Jahren einen Bachelorabschluss in Mathematik sowie einen Magisterabschluss für das Lehramt an berufsbildenden Schulen nachzuholen. Seitdem ich den Vorbereitungsdienst im Frühjahr 2020 beendet habe, unterrichte ich am Berufsschulzentrum „Hugo Mairich“ in Gotha in der Fächerkombination Metalltechnik und Mathematik.
Wieso haben Sie sich genau für diese Fachrichtung entschieden?
Schon während meiner eigenen Schulzeit hatte ich großes Interesse an naturwissenschaftlichen Zusammenhängen. Physik, Chemie und Mathematik sind für mich Disziplinen, die ein Stück weit erklären, „wie die Welt funktioniert“. Die Entscheidung für die Fachrichtung Metalltechnik kam wahrscheinlich aus einem gesteigerten Interesse an Maschinen. Ich war und bin noch immer fasziniert davon, wie breit das Anwendungsfeld von technischen Systemen aus Metallen ist. Vom Gartenzaun bis zum Passagierflugzeug erfüllen diese Systeme Aufgaben verschiedenster Komplexitätsgrade.
Was schätzen Sie an Ihrem Schulstandort?
An meinem Schulstandort schätze ich besonders, dass mir aufgrund der Aufgeschlossenheit meiner Kolleg*innen und der ausgesprochen guten Ausstattung der Schule alle Möglichkeiten gegeben werden, meine Ideen und Wünsche im Unterricht umzusetzen.
Wieso haben Sie sich ausgerechnet für das Berufsschullehramt entschieden?
An Berufsschulen arbeiten wir an Themen und Zusammenhängen, die einen direkten Bezug zur Lebenswelt der Schüler*innen haben. Die beliebteste aller Fragen „Wozu brauche ich das später mal?“ höre ich ausgesprochen selten. Die Tatsache, dass die Azubis einen Inhalt, den wir in der Berufsschule theoretisch erschließen in der darauffolgenden Woche praktisch anwenden können, motiviert sowohl mich als auch meine Schüler*innen.
Was bedeutet es, Lehrer an einer berufsbildenden Schule zu sein?
Der Übergang von der Schulzeit in die Berufswelt ist ein unglaublich wichtiger Schritt für junge Erwachsene. Als Lehrer muss man sich bewusst sein, dass man als Ansprechpartner und Begleiter junger Menschen in einer hochsensiblen Lebensphase fungiert. Diese Unterstützung umfasst deutlich mehr als nur die Vermittlung fachlicher Inhalte. Es geht besonders auch darum, Kompetenzen wie Selbstreflexion, Verantwortungsbewusstsein für das eigene Handeln zu trainieren und die Suche nach dem eigenen Platz in der Gesellschaft bestmöglich zu begleiten.
Was schätzen Sie an Ihrem Beruf am meisten? Mit welchen Herausforderungen sind Sie im Lehreralltag konfrontiert?
Am meisten liebe ich das hohe Maß an Selbstbestimmtheit und Freiheit, das ich in meinem Beruf genieße. Der Lehrerberuf bietet mir die Möglichkeit, Unterrichtsinhalte auf genau die Art und Weise aufzubereiten, die ich für richtig halte, die mir Spaß macht und von der ich denke, dass sie eine Brücke zwischen mir und den Schüler*innen bauen kann. Genau darin liegt auch die größte Herausforderung. Da wir an Schulen mit Menschen arbeiten und nun mal jeder Mensch anders ist, ist es die anspruchsvollste Aufgabe, den Unterricht so zu gestalten, dass sich wirklich alle im Raum wohlfühlen, Spaß haben und idealerweise am Ende der 45 Minuten auch noch etwas gelernt haben.
Warum sollten sich mehr junge Menschen für das Berufsschullehramt entscheiden? Welche Eigenschaften sollte man als angehende*r Lehrer*in mitbringen?
Oft hört man das Klischee, Lehrer*in sei der bestbezahlte Halbtagsjob, den es gibt. Natürlich ist Lehrer*in ein Fulltime-Job, allerdings ist es ein großer Vorteil, dass man sich die Arbeitszeit abseits der Unterrichtszeit zeitlich und auch räumlich frei einteilen kann. Obwohl ich selbst weder verheiratet bin noch Kinder habe, denke ich, dass der Lehrberuf einer der Berufe ist, der sich am besten mit einer Familie vereinbaren lässt.
Neben Selbstdisziplin und einer guten Organisation benötigt eine angehende Lehrkraft vor allem Empathie. Ich finde, das ist eine Schlüsselkompetenz, um zu erkennen, dass während des Unterrichts nicht eine Klasse, sondern 20 Individuen mit 20 Biographien und 20 verschiedenen Päckchen an Problemen und Bedürfnissen vor einem sitzen.
Wieso sollte man gerade in Thüringen Lehrer*in werden, wo doch überall Lehrkräfte gesucht werden?
Der Sektor der berufsbildenden Schulen ist im Vergleich zu anderen Schulformen recht klein. Kombiniert mit der Tatsache, dass Thüringen ein kleines Bundesland ist, führt das dazu, dass alle, die mit der Lehre an berufsbildenden Schulen zu tun haben, sehr gut vernetzt sind. Man hat oft das Gefühl, dass Entscheidungsträger aus Universität, Studienseminar, Schulamt und die einzelnen Schulleiter engen Kontakt miteinander pflegen. Personen, die man aus einzelnen Stationen der Lehrerausbildung kennt, trifft man immer wieder, sodass beinahe ein familiäres Gefühl entsteht.